In guter Gesellschaft

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VdK-Podcast “In guter Gesellschaft”

Folge 40: Ricarda Lang, wie viel Hass verträgt unsere Gesellschaft?

Hinweis: Dieses Transkript wurde mit Unterstützung einer Software erstellt. Fehler in der Transkription bitten wir zu entschuldigen.

Intro mit Ricarda Lang: Es bringt nichts, den Leuten gerade zu versprechen „nichts wird sich verändern“. Wer das tut, der streut den Leuten Sand in die Augen. Nachher sind die Leute zu Recht wütend, wenn sich doch Dinge verändern. Weil es bleibt nicht alles gleich. Für niemanden von uns wird alles gleich bleiben.

Intro mit Ricarda Lang: [Intro-Musik]

Verena Bentele: Hallo, ich bin Verena Bentele und ihr hört „In guter Gesellschaft“. Als Präsidentin des VdK, dem größten Sozialverband Deutschlands, beschäftige ich mich mit der Frage, was Politik und Menschen tun können, um aus unserer Gesellschaft eine gute Gesellschaft für alle zu machen. Und das tue ich gemeinsam mit euch in diesem Podcast. Es wird kritisch und konkret, ja manchmal sogar unbequem. Aber für etwas Gutes lohnt es sich zu kämpfen, oder?

Heute hört ihr „In guter Gesellschaft“ mit Ricarda Lang. Kurz zu meinem heutigen Gast: Sie ist 1994 im schwäbischen Filderstadt geboren und in Nürtingen ist sie bei ihrer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen, die als Sozialarbeiterin in einem Frauenhaus gearbeitet hat. Ricarda Lang ist die frauenpolitische Sprecherin und seit Februar 2022 gemeinsam mit Omid Nouripour die Parteivorsitzende von Bündnis 90 / Die Grünen. Hasskommentare und Drohungen gehören seit jeher zum Alltag der 30-jährigen Politikerin. Wie geht sie damit um? Und was passiert, wenn Cybermobbing und Hatespeech ins reale Leben übergehen? Genau darüber sprechen wir heute: Ricarda Lang – Wie viel Hass verträgt unsere Gesellschaft? Viel Spaß beim Zuhören!

Verena Bentele: Herzlich willkommen, Ricarda Lang, in meinem Podcast.

Ricarda Lang: Hi.

Verena Bentele: Hi. Ich habe meine Einstiegsfrage, die vielleicht ungewöhnlich ist: Wie gut schläfst du?

Ricarda Lang: Tatsächlich sehr gut. Und ich glaube, es ist in meinem Job ein absolutes Privileg und Geschenk bei dem Tempo, das man hat, auch bei der Entscheidungsdichte schlafen zu können.

Verena Bentele: Aber wie ist es eigentlich, wenn du jetzt so konfrontiert bist mit persönlich verletzender Kommunikation? Muss man die tatsächlich hinnehmen? Verfolgt die dich manchmal in den Schlaf und auch abends, wenn du da so liegst? Wie gehst du damit um, wenn du im Internet konfrontiert wirst mit verletzenden Dingen?

Ricarda Lang: Ich kann da zum Glück mittlerweile sehr, sehr gut abschalten. Also wenn ich mich dann abends noch mit meinem Partner zusammensetze, was esse oder ein Buch lese, dass mich das dann nicht weiter begleitet, sondern ich das wie so ein bisschen die Jobrolle eigentlich dann ausziehen kann, in die private Rolle übergehe. Es ist natürlich aber immer auch sowas, finde ich, wo man selbst damit hadert: Wie sehr gewöhnt man sich eigentlich dran, wie sehr nimmt man es irgendwie als normal hin und wie sehr will man das auch gar nicht? Ich habe 2019 als stellvertretende Vorsitzende, damals noch von den Grünen, kandidiert und gesagt „Ich will mir kein dickes Fell wachsen lassen, weil ich will ja Mensch bleiben in der Politik“. Und auf eine gewisse Weise tut man das aber natürlich. Man lässt sich ein Fell wachsen, man härtet ab. Und gleichzeitig will ich auch nicht komplett abhärten. Das heißt, für mich ist es immer auch ein bisschen ein eigenes Ausloten. Wie sehr muss man einfach einen professionellen Umgang finden, damit man weiterarbeiten kann? Wie sehr will ich aber auch sagen „Eigentlich will ich nicht irgendwann das Gefühl haben, das ist normal, was hier gerade passiert“.

Verena Bentele: Thema Normalität. Was wir uns natürlich auch fragen im VdK, ist immer: Wann ist eigentlich Diskurs und wann fängt aber wirklich Hatespeech an? Was ist in der politischen Auseinandersetzung wirklich noch erlaubt? Ich finde persönlich, dass die Grenzen sich da gerade ja auch extrem verschieben, was man in Anführungsstrichen „noch sagen darf“, was, finde ich, schon oft wirklich sehr Unanständige geht. Wie ist da für dich so die Grenze?

Ricarda Lang: Ja, ich finde, als Politikerin gehört es schon dazu, dass man sich Kritik aussetzt. Und ich finde auch harscher Kritik. Also das ist nicht, dass ich von den Bürgerinnen und Bürgern erwarte, dass sie jetzt immer total nett und freundlich formulieren und es darf auch mal jemand total angekotzt sein. Und ich finde, auch wenn sich jemand mal im Ton vergriffen hat, hat man sich damit ja nicht dauerhaft diskreditiert vom politischen Austausch. Das heißt zum Beispiel, dass es jetzt auch außerhalb des Netzes, wenn ich wohin komme und gebuht wird, dann finde ich das unschön, dann finde ich, das trägt jetzt nicht zur Debatte bei. Aber das muss man aushalten können als Politikerin. Und so würde ich auch im Netz sagen, wenn Leute immer unter Videos schreiben „Das ist doch total scheiße, was Sie da erzählen“ – ist auch nicht die beste Debatte, aber muss man auch aushalten können.

Ricarda Lang: Ich finde, es überschreitet dann eine Grenze, wo es entweder wirklich persönlich diffamierend wird, also wo es gar nicht mehr um den politischen Inhalt geht, sondern nur um die Person – ich habe das zum Beispiel oft, wenn es um Körper geht –, wenn es gewaltvoll wird. Und auch Sprache kann gewaltvoll sein. Da hat man teilweise Leute, die einem schreiben, wie sie einen gerne vergewaltigen würden oder was sie meinem Partner an Gewalt antun würden. Und wenn es diskriminierend wird. Also das erlebt man ja auch häufig, dass sexistische Sachen ... Menschen, die Migrationsgeschichte haben, erleben es oft mit Rassismus, Jüdinnen und Juden mit Antisemitismus, also wenn wirklich auch Menschenfeindlichkeit mit reinkommt.

Verena Bentele: Was für mich eigentlich nochmal eine schockierende Zahl ist: Eine Studie des Kompetenznetzwerks hat kürzlich ergeben, dass sich mehr als die Hälfte der Befragten aus Angst vor aggressiven Kommentaren wirklich ... und vor Anfeindungen sich bewusster im Netz äußern und weniger an Diskussionen teilnehmen. Wie hat sich das Thema Cybermobbing für dich denn in den letzten Jahren entwickelt? Ist es mehr geworden? Ist die Qualität eine andere geworden? Was ist für dich passiert in den letzten Jahren?

Ricarda Lang: Ich würde sagen, es gibt Negatives und es gibt Positives. Im Negativen hat es auf jeden Fall zugenommen. Das ist jetzt bei mir ganz individuell, weil ich natürlich auch als Bundesvorsitzende noch meine herausgehobene Rolle habe, dadurch mehr Aufmerksamkeit bekomme. Aber ich erlebe das auch zunehmend bei Leuten, die gar nicht in der ersten, zweiten, dritten oder sogar vierten Reihe stehen, sondern ich mit Kommunalpolitikern rede, wenn ich mit Ehrenamtlichen rede, die vor Ort ... die vielleicht 500 Follower auf Instagram haben, die ein Post zu einem kommunalpolitischen Thema, ob jetzt noch eine Integrationszentrum aufgebaut wird – und darunter eine Welle an Menschenverachtung und Hass erleben. Und das ist, was mir jetzt Sorge macht, weil ich glaube, das, was du gerade beschrieben hast, Sich-aus-der-Diskussion-zurückziehen, vielleicht auch Aus-der-Demokratie-zurückziehen, das findet gerade auch oft vor Ort statt. Diese Leute, ehrenamtliche Kommunalpolitiker, das ist ja so ein bisschen das Rückgrat der Demokratie. Auf der anderen Seite will ich auch sagen im Positiven: Es gibt mehr Bewusstsein, mehr Solidarität. Also auch das hat sich verändert. Ich hatte das Gefühl, wenn man vor fünf, sechs, sieben Jahren einen großen Shitstorm hatte, dann gab es da ein großes Schweigen bei vielen anderen. Das war so ein individuelles privates Problem. Und heute gibt es viel Solidarität über Parteigrenzen hinweg, über verschiedene Teile der Gesellschaft hinweg. Und dass ... ja, Social Media ist eigentlich, muss man sagen, nicht inhärent was Schlechtes oder was Gutes, sondern es ist ein Lautsprecher. Es verstärkt das, was da ist, die Solidarität, aber halt auch den Hass.

Verena Bentele: Aber dieses Thema „ist ein Lautsprecher“ ist ja ganz spannend. Du hattest mal 2021 dem Radiosender Fritz gesagt, dass du dir nicht vorstellen könntest, dass dir diese ganzen Hasskommentare ins Gesicht geschleudert und ins Gesicht gesagt werden. Würdest du das heute so bestätigen? Nach diesen ganzen Protesten am Aschermittwoch, am Politischen Aschermittwoch zum Beispiel in Biberach, in Schorndorf, Bauernprotest in Magdeburg, Robert Habeck, der nicht vom Schiff gelassen wurde. Wir haben im Moment ja viele in meinen Augen schockierende Beispiele, wo wir wirklich auch sehen, dass es auch sehr schnell doch in die Realität überschwappt, physisch wird, sehr direkt wird. Wie würdest du heute deine Aussage bewerten?

Ricarda Lang: Es hat sich schon verändert. Also es ist vieles von dem digitalen Raum auch wirklich in die analoge Welt übergetreten. Heinrich Böll hat das glaube ich mal gesagt mit „Sprache kann auch töten“, weil aus Sprache, aus Worten ganz, ganz schnell Taten werden. Und leider in Teilen haben wir es bei Walter Lübke mit dann wirklich auch in diesem Fall tödlicher Hetze erlebt und erleben das aber gerade auch an vielen Stellen. Trotzdem muss ich sagen – und deshalb würde ich ein bisschen bei der Aussage von damals stehen –, dass viele es einem gar nicht so entgegenschleudern würden. Das passiert sehr wenig im Privaten. Also ich kämpfe zum Beispiel manchmal auch beim BKA sehr darum, dass ich weiterhin U-Bahn fahren kann, selbst einkaufen gehen kann, normal im privaten Rahmen unterwegs sein, und da passiert mir fast nie. Da kennen einen Leute, da gibt es mal Leute, die freuen sich, wollen Selfies machen, da gibt es mal Leute mit inhaltlichen Nachfragen. Es gibt auch mal Leute, die sagen „Ich finde die Grünen total blöd“. Aber da erlebe ich kaum wirklich Angriffe, Hetze, Anfeindungen etc. Das heißt, es ist schon was bewusst politisch Organisiertes, das merkt man. Du hast Biberach genannt, du hast Magdeburg genannt. Da mischen sich dann auch Rechtsextreme drunter. Das wird sehr stark instrumentalisiert und unterwandert. Und was ich immer so krass finde, ist dass ... Hass hat ja so was Enthemmendes. Ich war bei Biberach, als wir diese große Blockade und unsere Aschermittwochsveranstaltung hatten, habe ich danach mit einem Polizisten geredet, der auch vor Ort war. Also ein lokaler Polizist. Und der war total schockiert, weil er zu mir meinte „Frau Lang, das sind ja Männer, bei den kaufe ich meine Kartoffeln, mit denen sitze ich am Stammtisch und die stehen mir gegenüber, die werfen Steine auf Polizeiautos, sie zeigen den Stinkefinger. Die haben richtige Fratzen vor manischem Hass“. Und das ist, glaube ich, schon was Gefährliches, weil ja, Hass kann wie ein Gift sein, aber eben auch wie eine Droge und es enthemmt.

Verena Bentele: Und ich meine, du hast ja vorher gesagt, dass es im Netz auch schon inzwischen mehr Solidarität gibt. Oder so habe ich das zumindest verstanden, dass du schon noch das Netz meintest, nicht nur in der Realität. Aber jetzt mal andersrum: In der Realität, was war zum Beispiel in Biberach dann das Problem? War in der Realität der Gegenprotest der solidarischen und der demokratischen Denkerinnen und Denker nicht mehr organisierbar, weil von einem Gegenprotest oder von dem ... ja, von dieser Aktion gegen eure Veranstaltung nichts bekannt war? Wo war das Problem, habe ich mich danach gefragt. Weil wir hatten zum Beispiel mal eine Ankündigung, dass die AfD vor einer VdK-Veranstaltung demonstrieren möchte und haben das aber natürlich dann auch aufgegriffen. Und dann waren eben viel mehr andere Menschen da, die gesagt haben, wir sind hier eine demokratische Republik, wir haben hier eine Einladung vom VdK, wenn ihr keine habt, dann müsst ihr euch Gedanken machen und nicht sich der VdK, was ich sehr gut fand damals. Wie siehst du das, warum gab es da keine Gegenwehr von anderen?

Ricarda Lang: Also, ich glaube, zum einen ist es natürlich im Engeren eine sicherheitspolitische Frage und das wird ja gerade auch noch mal bearbeitet, auch im Landtag in Baden-Württemberg, wie müssen eigentlich die Behörden sich für solche Fälle aufstellen. Das zweite ist, dass man natürlich gerade bei so einer Aschermittwochsveranstaltung nicht klassischerweise Gegendemonstrationen macht oder sowas, sondern einfach die Veranstaltung stattfinden lässt und das Signal genug ist. Aber tatsächlich, was ich schon dort schockierend fand, war wie ... Also, ich komme selbst vom Land. Ich komme von der Schwäbischen Alb, da haben wir viele Landwirte und die sind im Durchschnitt konservativ, deutlich konservativer als ich das bin, aber sehr anständig. Und das ist sowas – dass die sich dann instrumentalisieren lassen, weil das waren ja nicht alles Rechtsextreme waren, bei weitem nicht. Da sind viele Leute, die ein total legitimes Interesse haben, die sich Sorgen um die Existenz ihres Hofes machen, die sich Sorgen machen: Kann mein Sohn, kann man Tochter den mal übernehmen? Aber dass die sich so mitreißen lassen haben. Und da kann ich schon nur alle aufrufen: Lasst euch da auch nicht instrumentalisieren von Menschen, denen es um alles geht, darum, diesen Staat zu delegitimieren, die Demokratie zu delegitimieren, aber nicht um die Interessen der Bauern. Und man muss schon sagen, wenn wir über Solidarität sprechen, auch da gab es vieles. Ich habe hunderte Nachrichten bekommen von Leuten aus allen möglichen demokratischen Parteien. Aber es gibt auch Leute wie Markus Söder, die stellen sich hin und sagen, jetzt mal platt gesprochen: selber schuld. Und da muss man schon sagen, da erwarte ich auch von allen Demokratinnen und Demokraten gar nicht so sehr Solidarität, sondern gemeinsames Einstehen für die Demokratie.

Verena Bentele: Ja gut, aber das hat natürlich schon viele Gesichter. Dieses Einstehen also finde ich ganz, ganz wichtig.

Ricarda Lang: Ja.

Verena Bentele: Aber wenn ich natürlich mir nicht vielleicht überlege, wer ist mein „Hauptgegner“ in Anführungsstrichen in Diskussionen – das legitimiert natürlich vielleicht auch solche Proteste mehr, wie wenn ich mich wirklich gegen Rechtsextremisten stelle und nicht gegen andere demokratisch gewählte Parteien in der Art und Weise, die wirklich schon manchmal verletzend ist. Was ich mich immer wieder frage: Gibt es denn schon Themen bei Menschen wie dir, zu denen du dich nicht mehr äußerst? Wo du einfach sagst „da ist mir die Anfeindungsgefahr zu groß, da halte ich jetzt einfach lieber mal mich zurück und schweige“ und ... weiß ich nicht, schreibe das vielleicht eher in ein Pamphlet für die Grünen, aber nicht ins Internet.

Ricarda Lang: Es gibt Themen, wo ich einfach wenig Lust drauf habe und wo ich auch so ein bisschen das Gefühl habe, die werden immer wieder rausgezerrt und dann große Empörungswellen starten und ich hab das Gefühl, es gibt wichtigere Themen. Das ist bei mir Gendern zum Beispiel. Das ist aber nicht so sehr, weil ich Angst habe, sondern weil ich das Gefühl habe war, wenn ich mich mit Feminismus beschäftige – und ich bin überzeugte Feministin –, dann will ich über Pflege reden, dann will ich über gleiche Löhne reden, dann will ich über wirtschaftliche Unabhängigkeit reden. Das heißt, es gibt so ein bisschen die Themen, wo ich einfach sag „vielleicht die Kulturkämpfe von unserer Seite ein bisschen ablasen“, das können auch gerne andere machen. Und dann gibt es natürlich schon Themen, glaube ich, wo auf so eine Art wir als Gesellschaft verlernt haben, irgendwie darüber zu sprechen. Das sind leider zunehmend manche Klimaschutzthemen, auch wenn wir zum Beispiel über Ernährungsthemen sprechen, wenn wir über manche landwirtschaftlichen Themen sprechen. Und da müssen wir, glaube ich, sehr vorsichtig sein, weil ich sehe in anderen Ländern, wenn wir in die USA schauen – die sind weit von uns entfernt, ich finde, man sollte auch nicht in Fatalismus oder Empörung fallen –, wir sind weit von US-amerikanischen Verhältnissen entfernt, aber mittlerweile selbst so Themen wie Klimaschutz reine Kulturkampfthemen geworden sind, wo zwei Teile der Gesellschaft gar nicht miteinander sprechen können, ohne sich anzubrüllen. Und ich hoffe sehr, dass wir alle gemeinsam Verantwortung übernehmen, dass das hier nicht passiert.

Verena Bentele: Was, finde ich, auch immer noch eine ganz spannende Frage ist: Wie kann eigentlich die Politik, wie können politisch Verantwortliche dazu beitragen, dass eben auch das Thema Cybermobbing bewusster wird, dass die Gesellschaft es auch in sich reglementiert und reguliert? Es gibt natürlich, klar, auch Regulierungen von staatlicher Seite, es gibt Regulierungen der Plattformanbieter, aber die Gesellschaft hat natürlich auch eine richtig wichtige Funktion. Und mein persönliches Gefühl ist schon, dass das auch die politische Diskussion, die in der Realität, in Talkshows, in Veranstaltungen und auf Veranstaltungen stattfindet, hier eben auch einen wichtigen Beitrag leisten kann, auch leisten muss. Wenn wir wirklich sagen, das Netz ist auch eine Art Lautsprecher, um eben auch den Hass im Netz wieder ein bisschen runterzukochen und zurückzufahren. Wie ist da deine Meinung? Was könnt ihr als Abgeordnete, als Parlamentarier, als Ministerin, Minister, Parteivorsitzende und alle gemeinsam beitragen, um dem Thema den Nährboden zu entziehen?

Ricarda Lang: Man kann natürlich einmal darauf aufmerksam machen, also einfach auch darüber sprechen, auch über die Wirkweisen sprechen. Es hilft gerade, wenn Menschen diese Erfahrung selbst gemacht haben, weil sie merken: Ich bin damit nicht alleine, ich bin auch nicht selbst schuld, sondern das ist wirklich ein gesellschaftliches Phänomen. Man kann selbst solidarisch sein. Ich habe das immer wieder gesagt in Richtung Union, Richtung alle Parteien: Wenn einer von euch von Rechtsextremen angegriffen wird, werde ich mich davorstellen, egal wer es ist und egal, ob ich sonst dessen Haltung zu Migrationspolitik oder Schuldenbremse gut finde.

Verena Bentele: Machen es denn andere für dich, wenn du angefeindet wirst? Du hast es vorher genannt, bei körperlichen Dingen oder vielen anderen als Frau, wie auch immer, wirst du dann von anderen da auch verteidigt aus anderen Parteien?

Ricarda Lang: Ja, also wer es zum Beispiel immer wieder gemacht hat, war Paul Ziemiak, der eine sehr, sehr klare Haltung hatte, Generalsekretär der Union in Nordrhein-Westfalen, der an verschiedenen Stellen – wie ich gesagt habe, wir sind politisch sehr weit auseinander und können uns über viele Dinge vortrefflich streiten – aber da, wo es persönlich wird, dann wirklich auch sich hingestellt hat und öffentlich Position bezogen hat. Und das gibt es immer wieder und das ist auch verdammt wichtig. Ich glaube, wir können und aber auch ein bisschen selbst an der Nase fassen, weil jetzt muss man sagen, na ja, es gibt Hass und es gibt wirklich auch strafbares Verhalten im Netz. Aber es gibt ja schon auch davor was. Und das ist so was, was ich als eine Form von Empörungskultur und einer Kultur, die sich doch entwickelt hat, auch durch die sozialen Medien in den letzten Jahren, wo zum Beispiel nach jeder Talkshow, du hast es genannt, jeder 15 Sekunden Schnipsel rausgeschnitten wird und dann durchs Netz gejagt wird, ohne Kontext, ohne dass man hört, was wurde davor gesagt. Immer das schlecht Möglichste unterstellt wird. Es gab jetzt einen Fall zum Beispiel dafür und ich bin auch nicht mit allem einverstanden in der Ukraine Politik, was der Kanzler macht, bzw. wir führen da Debatten in der Koalition, aber wo ein Ausschnitt, wo er auf einen Schnipsel, der ihm hingehalten wurde, wo glaube ich draufstand „Diplomatie statt Waffen“, er darauf reagiert und gesagt hat, das sollte man zu Putin schicken. Dann wurde der erste Teil rausgeschnitten, ein kleiner Teil hinten und alle haben gesagt „Oh mein Gott, er hätte das formuliert“, sozusagen als sein Auftrag. Und da denke ich mir: Ich kenne das auch von mir selbst. Man schreibt so einen Tweet und man weiß, wenn ich den noch fünfmal reißerischer schreibe, wenn ich noch ein bisschen härter, ein bisschen unklarer und ein bisschen diffamierender werde, dann gibt er halt 20-mal mehr Likes und da lassen sich zu viele mitreißen. Auch ich habe das bestimmt in der Vergangenheit schon getan. Davon müssen wir wegkommen. Also sich da auch selbst wirklich in die Verantwortung nehmen. Und der letzte Punkt, weil du auch Talkshows angesprochen hast, ich glaube, dass wir viele politische Debatten führen, wo viele Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, da geht es null um mich, das hat mit meinem Lebensalltag nichts zu tun. Auch wir beide saßen schon gemeinsam in Talkshows, wo man das Gefühl hatte, finde ich, es wird mehr über Gewinnen und Verlieren zwischen den Parteien und wer hat wann was vorgeworfen, als über die Bedürfnisse, Interessen und Sorgen der Bürger geredet. Und auch das trägt dazu bei, dass Leute sich aus dem Diskurs verabschieden.

Verena Bentele: Jetzt fragen sich natürlich viele Menschen auch: Was gibt es denn für Hilfemöglichkeiten für Menschen, die Hatespeech ausgesetzt sind, die Hass im Netz ausgesetzt sind? Natürlich auch in der Realität. Was rätst du deinen kommunalpolitisch Verantwortlichen auch in deiner Partei? Oder hast du vielleicht auch selber da schon Hilfe geholt? Wo sind die Hilfestrukturen in Deutschland?

Ricarda Lang: Natürlich kann man sich ganz konkret an den Rechtsstaat wenden, also das heißt anzeigen. Das würde ich auch sehr empfehlen. Einmal, weil ich finde, es hat nicht immer Konsequenzen, aber doch zunehmend bei mehr Fällen. Und das muss man auch zeigen, dass Netz ist kein straffreier Raum. Wir hatten da eine Tendenz, so würde ich sagen, als ich mich zum ersten Mal mit den Themen beschäftigt habe, vor fünf, sechs, sieben Jahren, wo da noch viel Bagatellisierung vonseiten der Sicherheitsbehörden stattgefunden hat. Als dann zum Beispiel gesagt wurde „Machen sie halt mal ihr Handy aus“. Das hat sich aber verändert in den letzten Jahren. Also mein Gefühl ist: Es wird deutlich mehr ernst genommen, es wird deutlich mehr verstanden. Und es wird auch deutlich mehr reagiert.

Verena Bentele: Lieber mal mehr eine Anzeige bei der Polizei oder früher, wenn man sich unwohl fühlt, als zu spät? Was wäre da Deine Haltung zu?

Ricarda Lang: Ich würde tendenziell eher sagen, also jetzt nicht jeden blöden Spruch, aber lieber mal was anzeigen, auch wenn man sich nicht 100 Prozent sicher ist. Wie gesagt, es ist einfach kein rechtsfreier Raum. Dann, wessen Arbeit ich unfassbar schätze: HateAid. Das ist eine Organisation, die ganz konkret Betroffenen von digitaler Gewalt und Hatespeech hilft. Und mit denen arbeite ich zum Beispiel auch zusammen. Die scannen bei mir die Kommentare, und die sagen dann, die haben auch Expertinnen, Anwälte, das heißt, Leute, die sich da besser auskennen, als ich es tue. Die dann sagen, das ist strafrechtlich relevant, da würden wir Anzeige erstatten und übernehmen diesen ganzen Prozess. Das schafft natürlich Kapazitäten, die ich dann wieder in andere Arbeit stecken will. Ich will ja eigentlich nicht, dass mein Büro sich den lieben langen Tag mit digitaler Gewalt beschäftigt, wenn wir ganz andere Dinge zu tun haben. Und da bin ich auch sehr, sehr dankbar für diese Unterstützung. Und das Letzte, was ich sehr konkret und auch privat empfehlen würde: mit Leuten darüber reden. Das nicht in sich hineinfressen, nicht versuchen einfach auszublenden. Kann auch mal eine Phase geben, wo man es komplett ausblendet, wenn man gerade was anderes zu tun hat. Aber sich wirklich auch mal mit Freunden, vielleicht mit anderen Leuten, die ähnliche Erfahrung gemacht haben austauschen. Am Ende merkt man dann oft, wenn man darüber spricht, es sind gar nicht so wenig Menschen, die diese Erfahrungen gemacht haben. Das hat mir immer sehr geholfen.

Verena Bentele: Ja, das finde ich auch einen ganz spannenden oder guten Ansatz, damit eben auch nicht allein zu bleiben, sondern es wirklich auch mit anderen Menschen zu teilen. Das Thema Teilen ist jetzt ein bisschen ein harter Schnitt, bringt mich aber zu unserem zweiten, natürlich auch maßgeblichen Themenblock. Erst mal vielen Dank für diesen Themenblock, für die große Offenheit. Das ist auch für viele Menschen, die uns zuhören, wirklich noch mal eine gute Unterstützung, denke ich. Auch von Personen wie dir darüber was zu hören. Dafür vielen, vielen Dank. Unser zweiter wichtiger Themenblock, über den wir aber heute dringend natürlich sprechen müssen, wir sind hier beim Sozialverband VdK, der jetzt aus der sozialpolitischen Richtung kommt. Aber auch uns ist klar und wichtig natürlich, dass guter Klimaschutz in Deutschland gemacht wird. Und jetzt frage ich mich natürlich immer: Wie kann man es lösen? Dein Anspruch ist es ja auch, das Thema guter Klimaschutz und Soziales zu verbinden und hier nicht immer diese ganzen Widersprüche zu sehen. Aber ich frage mich, wie groß ist auch deine Sorge, dass von politisch Andersdenkenden diese Themen immer gegeneinander gesetzt und gegeneinander ausgespielt werden? Was in meinen Augen ehrlich gesagt natürlich absolut schwierig ist. Wenn gerade unsere Mitglieder im VdK zum Beispiel, das Gefühl haben, wir können eigentlich zum Klimaschutz selber gar nichts beitragen. Das ist nicht das, was die Menschen wollen. Die wollen einen Beitrag leisten. Wie ist da deine Haltung zu?

Ricarda Lang: Das ist auch meine Erfahrung, dass ganz viele Leute eigentlich bereit seien, was zu tun. Wenn man sich anschaut, wie viele Leute wissen, dass es den Klimawandel gibt und was dagegen tun wollen, sind das unglaublich starke Zahlen in Deutschland. Aber es gibt natürlich Sorgen und ich finde es sehr unverantwortlich, wenn auch häufig von anderen Parteien mit diesen Sorgen gespielt wird, sie auch politisch instrumentalisiert werden. Also zum Beispiel, wenn eine Partei, die sich sonst gegen die Kindergrundsicherung einsetzt, die sich gegen den höheren Mindestlohn einsetzt, die sich gegen höhere Rentensätze einsetzt, dann ihr Herz für Menschen mit wenig Geld entdeckt, wenn es darum geht, gegen Klimaschutz zu hetzen, dann finde ich das ehrlich gesagt vollkommen ungerecht, weil gerade Menschen mit wenig Geld haben halt mehr verdient, als ein Feigenblatt zu sein für eine Verhinderungspolitik bei der Klimapolitik. Gleichzeitig können wir dem natürlich nur etwas entgegensetzen, wenn wir es auch ernst meinen mit Klimaschutz und Soziales. Und jetzt kann man natürlich sagen, davon bin ich auch überzeugt, Klimaschutz ist immer auch Sozialpolitik für die Zukunft. Denn wir wissen auch: Die Klimakrise trifft nicht alle gleich. Die trifft die Menschen, die in nicht sanierten Häusern, die an viel befahrenen Straßen leben, deutlich, deutlich härter. Aber davon kann sich natürlich niemand was kaufen. Wenn ich mich frage: Wie komme ich eigentlich durch die nächsten drei Monate durch? Wie bezahle ich meine Miete? Und wofür ich sehr werbe und auch innerhalb von meiner Partei immer sehr kämpfe, dass wir diese sozialen Fragen anfangs stellen. Zu oft denkt man erst im nächsten Schritt über den Ausgleich nach. Dabei müssen eigentlich die sozialen Fragen zu Beginn behandelt werden, nicht erst am Ende.

Verena Bentele: Gut, aber jetzt haben wir fast Ende der Legislaturperiode. Zum Thema sozialer Ausgleich fragen sich natürlich viele unserer Mitglieder: Was ist mit dem Klimageld? Wann und wie kommt das Klimageld?

Ricarda Lang: Beim Klimageld gibt es ja zwei Fragen an denen wir arbeiten. Das eine ist der Auszahlmechanismus. Der wird auf jeden Fall in der dieser Legislatur kommen. Und es gibt Ankündigung dafür, dass er 2025 kommt. Und da machen wir auch sehr Druck, dass er das tut. Und das ist übrigens erst mal auch schon der Auszahlmechanismus als solcher wirklich ein Fortschritt für unseren Staat. Für mich war das, als ich Parteivorsitzende wurde und relativ bald danach haben wir angefangen, über große Entlastungspaket zu verhandeln. Und als ich in diesen Runden saß und erst mal gecheckt habe: Wir haben bisher in Deutschland keine Möglichkeit, wie der Staat an alle Bürgerinnen und Bürger direkt Geld auszahlen kann. Wir mussten unglaublich viele Umwege gehen über Arbeitgeber, Rentenversicherung, Familienkasse, etc. Das ist unmodern, das ist bürokratisch und das ist nicht sozial. Das heißt, das ist das eine. Und dann ist aber die Frage: Wird auch ausgezahlt, wenn er steht? Und ich finde ja. Ich werde mich auf jeden Fall dafür einsetzen, dass, sobald der Auszahlmechanismus noch in dieser Legislatur steht, dann auch das Klimageld ausgezahlt werden wird. Da sind wir aber natürlich in Debatten innerhalb der Regierung, woher wird das Geld genommen?

Verena Bentele: Und wie sieht das Klimageld aus? Also kriegen alle gleich viel? Kriegen Menschen, die mehr Bedarf haben, die weniger Geld zur Verfügung haben und vielleicht auch mehr leiden unter höheren Spritpreisen, die niedrige Löhne haben, aber weite Strecken fahren müssen – kriegen die eigentlich mehr?

Ricarda Lang: Die Idee beim Klimageld ist tatsächlich, dass alle es einmal bekommen, weil es sonst unfassbar kompliziert zu handeln wird. Die Österreicher haben das zum Beispiel Versuche gemacht, das nach Stadt und Land zu staffeln, also sozusagen Leute auf dem Land, weil die tendenziell längere Anfahrtswege haben, bekommen mehr. Aber einmal passt das zum Beispiel mit der Armutsverteilung eigentlich gar nicht zusammen. Wir sehen, dass Armut sehr, sehr stark vor allem in Städten stattfindet. Und zweitens wird es dann sehr, sehr kompliziert, sehr bürokratisch. Das heißt beim Klimageld ist tatsächlich die Idee: Es wird an alle gleich ausgezahlt, vom Greis bis zum Säugling. Wir wissen aber statistisch profitieren davon Menschen mit weniger Geld mehr, weil sie tendenziell, das ist übrigens auch so was, was wir Deutschland aber noch mal man sagen muss, weniger CO2 verbrauchen, als es Leute mit viel Einkommen tun. Gerade deshalb finde ich es aber wichtig, und es gibt jetzt ein paar Stimmen auch aus der Koalition, die sagen, wir machen dann das Klimageld und alles andere aus dem Klima- und Transformationsfonds an Unterstützung, das können wir alles streichen. Und das wäre genau falsch. Weil auch wenn das Klimageld da ist, werden Leute besondere Formen der Unterstützung brauchen, wenn es um Sanierungen geht, wenn es um Wohnungsumbau geht, werden Menschen mit wenig Geld mehr Unterstützung brauchen. Das heißt, das sollte man nicht gegeneinander ausspielen. Das Klimageld ist ein wichtiger Schritt für sozial gerechten Klimaschutz, aber es ist bei weitem nicht der einzige.

Verena Bentele: Genau. Und das Problem, das ja immer für Menschen da ist, ist natürlich: Wie weit geht eigentlich die individuelle Verantwortung zum Klimaschutz? Also was würdest du sagen, muss jeder Einzelne tun? Beziehungsweise wie lösen wir das Problem und die Herausforderung auf, dass auch nicht alle Menschen einfach gleich viel tun können? Bei manchen Menschen geht es nicht darum: Kaufe ich mir das dicke Auto, das zehn Liter pro 100 Kilometer braucht, oder ein kleines Auto. Bei den meisten Menschen geht es ja um wirklich die fundamentalen Dinge. Die wohnen in einer Wohnung, die nicht gut isoliert ist, die ihnen nicht gehört, wo sie nichts machen können. Was kann man diesen Menschen sagen? Wie weit geht deren Verantwortung?

Ricarda Lang: Ich finde das ist eine total spannende Frage. Ich bin ja aufgewachsen, so ein bisschen, ich würde sagen mit einem sehr neoliberalen Zeitgeist, wo immer so das Mantra war: Du entscheidest. Ich erinnere mich noch, Julia Klöckner, damals als Landwirtschaftsministerin, die mit Milliarden Gelder Monsanto gefördert hat und gleichzeitig dann dem Konsumenten gesagt hat: Du entscheidest. Und das fand ich immer eine sehr verantwortungslose Abwehr von politischer Verantwortung. Das sozusagen allein auf das Individuum zu übertragen. Deshalb habe ich auch immer bei mir bei den Grünen, und da haben wir uns auch in den letzten zehn, fünfzehn Jahren auch noch mal ein bisschen gewandelt, als Partei zu sagen: Wir wollen nicht die besseren Menschen, wir wollen die bessere Politik, wir müssen es allen Menschen ermöglichen. Gleichzeitig haben wir damit vielleicht auch ein bisschen zu was beigetragen, dass ist mir während, sowohl Corona als auch dann der Krise durch die Energiepreise aufgefallen ist, so ein Gefühl zu erwecken bei vielen Leuten: „Alles verändert sich, aber bei dir bleibt alles gleich. Mach dir keine Sorgen“. Und das führt natürlich dann auch wiederum zu einer großen Wut, weil es bleibt nicht alles gleich, von niemanden von uns wird alles gleichbleiben. Und da würde ich sagen, es geht auch schon auch darum, die einzelnen Leute mitzunehmen, weil auch viele Leute Teil davon sein wollen. Aber dabei muss erstens klar sein, die erste Verantwortung hat erst mal der Staat, die Infrastruktur zur Verfügung zu stellen und es überhaupt allen Leuten zu ermöglichen, sich klimaneutral zu verhalten. Und zweitens, die Verantwortung ist nicht gleich zu verteilen. Jemand, der eine Yacht hat, trägt so viel mehr zur Klimakrise bei, als es eine Hartz-IV-Familie tun könnte. Egal, ob sie die ganze Nacht das Licht an- und ausmachen oder nicht. Und ich finde, da muss man schon sagen, die, die mehr schultern können, müssen auch mehr schultern. Die es nicht können, müssen unterstützt werden.

Verena Bentele: Okay, aber wie genau kann die Unterstützung konkret ausschauen für die Menschen? Wir als VdK argumentieren schon so, dass der Staat natürlich auch allen Menschen die Möglichkeit geben muss, an der klimaneutralen Transformation teilzuhaben. Und da ist immer die große Preisfrage auch wirklich eine Preisfrage sicherlich. Du hast gerade selber gesagt, woher soll das Geld kommen für die, auch für das Klima Geld und auch für andere Maßnahmen? Wie kann der Staat, wie könnt ihr als Regierung die Menschen in ihrem Wunsch und Wille hier auch was beizutragen, unterstützen, ohne dass man immer gleich, was ja auch ein Thema ist in der Auseinandersetzung mit der Politik, die ihr macht, die harten Regeln, ohne, weiß ich nicht, nur mit Regeln trifft es eben auch viele Menschen härter, die kein Geld haben. Viele andere in Anführungsstrichen kaufen sich da wieder frei von. Also was kann der Staat wirklich konstruktiv tun, um Menschen zu unterstützen?

Ricarda Lang: Ich glaube, es sind so ein bisschen drei bis vier Dinge. Das erste ist Daseinsvorsorge und Infrastruktur. Also wir haben zum Beispiel die Verantwortung, dass es ein gut ausgebautes ÖPNV-Netz in allen Städten gibt und dass auch der öffentliche Nahverkehr auf dem Land gestärkt wird, dass es überhaupt erst mal für Menschen möglich ist, vom Auto umzusteigen auf die Bahn. Wir haben die Verantwortung, dass die kommunale Wärmeplanung vorangebracht wird, dass auch diese Frage von, wie heize ich, nicht von jedem immer individuell beantwortet werden muss, sondern man da auch gemeinsame Lösungen findet. Oder auch die Aufgabe, da gehen wir jetzt gerade auch voran, dass bei der Wohnungsförderung sowohl der soziale als auch der ökologische Wohnungsbau gefördert wird. Häufig haben wir heute ökologisch sanierte Wohnungen, die sind verdammt teuer und wir sollten wirklich darauf achten, dass es mehr sozialen Wohnbau gibt, der dann aber auch ökologisch tatsächlich schon Sinn macht und damit ja auch die Heizkosten runter drängt. Das heißt, das ist der erste ganz zentrale Punkt, die Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Das zweite sind individuelle Förderungen, also dass man zum Beispiel schaut, bei Menschen mit wenig Geld, dass die stärker bei einer Wohnungssanierung unterstützt werden, dass es da Möglichkeiten gibt, aber dass man da schaut, dass es natürlich auch so was wie ein Klima-Geld gibt, dass man guckt so was wie 49-Euro-Ticket, als das wirklich sozusagen Leuten auch es erleichtert wird dann auch im finanziellen Rahmen. Das dritte sind Informationen, das ist nichts, was wir alleine machen. Das macht auch ihr zum Beispiel als VdK ganz stark. Das macht eine Verbraucherschutzzentrale. Aber auch wir sollten uns natürlich immer darum kümmern, dass die Leute auch mitbekommen, was gibt es eigentlich an Förderung. Meine Erfahrung ist oft, die Leute, die ganz gut Geld haben, die, die finden schon ihre Wege dann auch, um sich durch irgendwelche Förderanträge durchzufragen. Jemand, der vielleicht zwei Jobs hat, vielleicht Deutsch auch nicht als Muttersprache hat, hat das da schon deutlich schwieriger. Das heißt wirklich auch, dafür zu sorgen, dass die Leute dann auch tatsächlich zu ihrem Recht kommen.

Verena Bentele: Wie sorgt man dafür? Weil genau die können ja nicht die Anträge ausfüllen. Also bis die die Elektroförderprämie für die Elektroautos, die sich viele unserer Mitglieder schon mal gar nicht leisten können, bis die den Antrag überhaupt gefunden hätten, da war die Förderung ja schon ausgeschöpft. Also die Menschen, die sind auch nicht so schnell, weil sie, wie du sagst, zwei Jobs haben, weil sie vielleicht Kinder erziehen, Angehörige pflegen. Wie kann man auch da ein Stück weit für Gerechtigkeit sorgen, dass nicht auch der, der sich am besten auskennt, am meisten Förderung kriegt?

Ricarda Lang: Also tatsächlich muss man, glaube ich, manchmal auch abweichen vom sogenannten „First come first serve”-Prinzip, also dass einfach nur entscheidet, wer eigentlich am schnellsten den Antrag eingereicht hat. Man muss Aufklärungsarbeit machen, also tatsächlich auch eine Kampagnenarbeit. Und wir müssen einfacher werden, was die Behörden angeht. Also ich meine, wenn ich mir überlege, ich erinnere mich an meinen Bafög-Antrag zu Beginn meines Studiums, aber ich glaube alle, die irgendwo mal irgendeine Form, sei es Wohngeld etc. - das ist ja Irrsinn. Das ist selbst für Leute, die Deutsch als Muttersprache haben, die gegebenenfalls studiert haben, ist es kaum möglich, sich da durchzukämpfen. Wenn ich dann auf Leute schaue, die all das nicht haben, das heißt, es muss auch weg von diesem Behördendeutsch, einfachere Anträge etc. Und der letzte Punkt, den man glaube ich, nicht ausnehmen sollte, ist auch dieses ganze Thema nicht nur beim Konsum anzusetzen, sondern schon bei der Produktion. Klimaschutz, ich meine, Joe Biden hat mal gesagt „When I hear climate, I hear jobs“. Klimaschutz kann und das heißt, wenn ich Klimaschutz höre, höre ich Jobs, kann zum Jobmotor werden, kann dafür sorgen, dass es gut bezahlte Jobs, dauerhaft sichere Jobs gibt. Und das auch mehr in den Fokus zu nehmen. Und ich finde, da reden wir dann auch über Fragen von Stolz und Anerkennung. Ich war vor ein paar Wochen bei SRW metalfloat, das ist eines der größten Recycling Unternehmen, die so Schrott recyceln in Deutschland. Die streiken seit mittlerweile vielleicht 150 Tage. Das ist einer der längsten Streiks, die wir je hatten in Deutschland, in der Nähe von Leipzig, also Osten. Die verdienen da knapp über Mindestlohn für eine wirklich, wirklich harte Arbeit. Im Sommer heiß, im Winter kalt alles. Und da habe ich mit denen geredet, was ich total interessant fand. Die meinten: „Frau Lang, ihre Kreislaufwirtschaft, das kriegen Sie ja nur hin mit unserer Arbeit. Wir sind doch die Grundlage davon.“ Wo ich dachte, ja, es geht auch nicht nur um Schutz und Unterstützung, sondern auch mal anzuerkennen, dass die Menschen, die Treiber, eigentlich die Helden des Klimaschutzes sind. Und dass das verändert, glaube ich auch die Debatte nochmal.

Verena Bentele: Aber was in dem Zusammenhang natürlich schon auch interessant ist, ist für mich die Frage, wie viel Wahrheit brauchen die Menschen, in Anführungsstrichen, vertragen die Menschen. Oder wo muss sich der Staat eben auch nicht einmischen? Du hast gerade gesagt, persönlicher Konsum. Es ist vielleicht auch nicht alles Produktion, ist viel, stimmt, aber natürlich hat ja das Konsumverhalten durchaus einen Einfluss und zwar von allen Beteiligten. Von denen, die sehr viel Geld haben und sehr viel konsumieren, aber auch bei denen, die wenig Geld haben, kann man ja die berechtigte Frage natürlich auch nach den Formen des Konsums stellen. Natürlich sind diese Fragen sehr unterschiedlich zu beantworten von Menschen, die viel, und anderen, die wenig Geld haben. Aber sind wir da alle gemeinsam ehrlich zueinander, was unseren Konsum angeht?

Ricarda Lang: Nein, wahrscheinlich nicht. Also ich sehe das tatsächlich nicht als die Aufgabe der Politik, den Leuten da ins Private reinzureden. Das fände ich auch nicht gut.

Verena Bentele: Und wir als Gesellschaft, also ein großes wir?

Ricarda Lang: Ich glaube, dass wir, tatsächlich so ein bisschen insgesamt, da gehört schon noch eine politische Ehrlichkeit dazu. Ich habe vorher so ein bisschen gesagt, diesen Duktus, den Leuten zu sagen, wir stehen vor einem der größten Veränderungsprozesse, die man sich vorstellen kann mit der Klimakrise. Aber bei dir wird alles genauso gleichbleiben! So, das funktioniert ja nicht und ich glaube, da gibt es schon manchmal so ein bisschen so ein kollektives sich in die Tasche lügen. Was uns am Ende auch allen nicht guttut. Und ich glaube, da muss Politik die Mischung haben, Sicherheit zu geben, aber schon auch ehrlich zu sein. Und es bringt nichts, den Leuten gerade zu versprechen, nichts wird sich verändern. Wer das tut, der streut den Leuten Sand in die Augen. Nachher sind die Leute zu Recht wütend, wenn sich doch Dinge verändern. Und gibt ja eigentlich die Kontrolle über Veränderungsprozesse auf, wenn man sie gar nicht mehr gestaltet und zu etwas macht, was uns passiv passiert. Und ich finde schon, dass ich mir da was für mich mitnehme und auch insgesamt von anderen Politikern auch wünsche würde. Ehrlich mit den Leuten umzugehen, die Leute auch nicht wie kleine Kinder behandeln. Die Menschen, mit denen wir reden, das sind Erwachsene, das sind Leute, die vernunftbegabt sind, die glaube ich, auch Ehrlichkeit wollen und nicht verarscht werden wollen.

Verena Bentele: Und die vielleicht ja auch teilhaben wollen an der Veränderung und auch das Gefühl haben, ihre Meinung, ihre Ansichten werden gehört im Prozess der Veränderung. Das sehe ich auch immer noch als ein ganz, ganz wichtiges Thema an. Ja, wir haben in unserem Podcast immer eine Rubrik, die fünf Sätze. Und da würde ich dich bitten, immer meine Sätze zu beenden. Ich gebe dir die Anfänge vor und du darfst sie beenden. Bitte nicht zu viele Kommata, ein paar sind erlaubt, aber keine Bandwurm Sätze. Bitte, fangen wir mal an. Um Hass im Netz effektiv zu bekämpfen, ist es wichtig, dass ...

Ricarda Lang: Wir Plattformen mehr regulieren. Wir merken, dass es Plattformen wie zum Beispiel X gibt. Die machen Geld mit Hass und die sollte man mehr in die Verantwortung nehmen.

Verena Bentele: Deutschland hat ein ernsthaftes Problem mit ...

Ricarda Lang: ... gerade mit Fatalismus. Wir haben Probleme, vor denen wir stehen, gar keine Frage. Aber wir haben auch eine unglaubliche Stärke und sollten Hoffnung und Mut nicht verlieren.

Verena Bentele: Da passt mein dritter Satz dazu. Es gibt mir Hoffnung, dass ...

Ricarda Lang: ... die Demos, die ich gerade sehe, die Demos gegen Rechtsextremismus und für Demokratie, wo Leute von Spremberg bis Berlin, bis meine Heimat Nürtingen auf die Straße gehen und tatsächlich auch die von den Fridays. Und wir fahren zusammen von ver.di gemeinsam, wo Gewerkschaftler und Klimaschützer zusammen auf die Straße gehen, gerade diesen vermeintlichen Widerspruch in die Vergangenheit transportieren.

Verena Bentele: Puh, das waren sehr viele Kommas. Für die Wählerinnen und Wähler der Europawahl müssen wir ...

Ricarda Lang: ... zeigen, was Europa im Alltag bedeutet.

Verena Bentele: Ein Satz an meine Hater ist:

Ricarda Lang: Geht mal im Wald spazieren, sucht euch ein Hobby.

Verena Bentele: Okay [lacht]. Entschuldige, dass ich so lachen muss. Das könnt ihr ruhig drin lassen im Podcast. Ich finde die Antwort cool. Hast du bestimmt nicht das erste Mal gegeben, aber ich mag sie sehr.

Ricarda Lang: Ja.

Verena Bentele: Wir haben über ganz, ganz viele Themen gesprochen. Aber ich hätte am Schluss vielleicht doch noch mal eine Frage nach einem konkreten Tipp. Was würdest du unseren Zuhörerinnen und Zuhörern raten, um selbst aktiv gegen Hass und Hetze online und offline vorzugehen? Zivilcourage ist in aller Munde, aber es ist am Ende nicht so einfach. Aber es ist auch ein Stück Hoffnung, finde ich. Im VdK haben wir zum Beispiel immer mehr Menschen, jetzt gerade, die auf ihren Marktplätzen vor Ort stehen und gegen Rechtsextremismus wirklich auch Reden halten. Auf Demos, finde ich ganz furchtbar mutig und ganz, ganz toll. Was ist dein Tipp für Menschen, um sich mutig zu engagieren?

Ricarda Lang: Das kann ich nur teilen. Organisiert euch. Wir haben Probleme, wenn es um den Erhalt der Demokratie geht. Wir haben auch Probleme, was Ungerechtigkeiten angeht. Und das Beste, was man tun kann, ist in Anbetracht von Ungerechtigkeit oder Anfeindung nicht zu vereinzeln, sich nicht zurückzuziehen und das nicht jeden einzeln klären zu lassen, sondern organisiert euch, tut euch mit anderen zusammen. Es war für mich eine der schönsten Erfahrung, als ich politisch aktiv wurde. Zu merken, Dinge, die mir passiert sind. Meine Mutter hat als Mitarbeiterin im Frauenhaus, als ich 18 war, gerade ihren Job verloren. Die sind nicht vom Himmel gefallen, die sind nicht in Stein gemeißelt. Die müssen nicht so bleiben, wie sie sind, sondern sind Teil von gesellschaftlichen Strukturen. Und ich kann mich mit anderen zusammentun, daran was ändern.

Verena Bentele: Sehr schön. Ganz, ganz lieben Dank für deine Zeit und deine Offenheit Heute in unserem Podcast und jetzt vermute ich mal, gehst du wieder zurück in den Bundestag und versuchst wieder, dich durch den politischen Alltag zu kämpfen. Dafür viel Erfolg.

Ricarda Lang: Danke schön.

Verena Bentele: Bevor ich mich bei euch, liebe Hörerinnen und Hörer, verabschiede, möchte ich wie immer einen ganz persönlichen Lichtblick mit euch teilen. Die Organisation hateaid.org setzt sich für Menschenrechte im digitalen Raum ein und engagiert sich gegen digitale Gewalt und ihre Folgen. Mit ihrer Arbeit ziehen sie Täterinnen und Täter zur Rechenschaft und zeigen öffentlich, Hashtag Hass kostet. Im Jahr 2023 allein konnten sie dadurch 522 Strafanzeigen, 117 Abmahnungen und 33 Zivilklagen vor Gericht finanzieren. Eine wirklich hohe Zahl. Circa 90 Prozent der Gerichtsprozesse der Organisation sind erfolgreich. Bei einem erfolgreichen Prozess müssen Täterinnen und Täter in der Regel die Beiträge löschen, dürfen diese in Zukunft nicht weiterverbreiten und müssen häufig zusätzlich Geldentschädigungen bezahlen. Wenn Klientinnen und Klienten eine Geldentschädigung erhalten, dann fließt dieses Geld vollständig in die rechtliche Unterstützung anderer Personen, die sich gegen Hass wehren. Und das ist gelebte Solidarität für ein besseres Netz. So, liebe Hörerinnen und Hörer, und das war's für heute mit dieser Folge in guter Gesellschaft. Ich hoffe, es hat euch gefallen und ihr seid auch nächstes Mal wieder mit dabei. Also, abonnieren nicht vergessen. Tschüss und bis bald.

Veröffentlichungsdatum: 26.3.2024

Podcast online: https://ingutergesellschaftvdk.podigee.io/46-ricarda-lang

Podcast online: © Sozialverband VdK Deutschland

Über diesen Podcast

„In guter Gesellschaft“ ist der Podcast des Sozialverbands VdK, dem größten Sozialverband in Deutschland. Podcast-Host ist VdK-Präsidentin Verena Bentele. Sie beschäftigt sich mit der Frage, was Politik und Menschen tun können, um aus unserer Gesellschaft eine gute Gesellschaft für alle zu machen. Mit vielen spannenden Interview-Partnerinnen und Partnern aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft wird kritisch und konkret, manchmal sogar unbequem – aber für etwas Gutes lohnt es sich zukämpfen, oder? Viel Spaß beim Hören!

von und mit Sozialverband VdK Deutschland e. V.

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